Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung
von Friederike Behrendt, Beraterin im Anti-Stalking-Projekt
Am 01.10.2021 ist die Gesetzesänderung des „Stalkingparagraphen“ § 238 Nachstellung StGB in Kraft getreten. Ziel dieser Änderung ist eine effektivere Bekämpfung von Nachstellungen und bessere Erfassung des Cyberstalkings.(1)
Das Problem in sich
Stalking/Nachstellung ist in jedem Fall eine Grenzüberschreitung. Auch wenn Art und Ausmaße des Stalkings sehr verschieden sind. Das spiegelt sich auch in der rechtlichen Definition wieder, denn der §238 Nachstellung StGB lässt viel Ermessensspielraum zu. Das ist wichtig und erforderlich, da eben jeder Fall so unterschiedlich ist. Das bedeutet aber auch einen höheren Aufwand für die Polizei und Justiz in der Ermittlungsarbeit. Ein Beispiel: laut dem Paragraphen muss das Stalking dazu in der Lage sein, die Lebensgestaltung der betroffenen Person zu beeinträchtigen. Wann genau eine Beeinträchtigung der Lebensgestaltung möglich wäre, ist wohl je Lebenssituation und je Stalkingverhalten sehr unterschiedlich und kann nicht anhand eines allgemeingültigen Faktors definiert werden.
Somit ist eine umfassende Prüfung jedes einzelnes Falls erforderlich. Da Stalking immer eine Vielzahl von Handlungen darstellt, müssen Betroffene zunächst die Handlungen darlegen und die Ermittlungsbehörden müssen jede einzelne Handlung prüfen. Betroffene sollen dafür Beweise bereits zur Anzeigeerstattung bei der Polizei mitbringen. Das kostet der Betroffenen viele Ressourcen oder ist zum Teil gar nicht möglich. Bestimmte Nachweise, vor allem bei digitalen Angriffen, benötigen eine forensische Untersuchung, die in der Zuständigkeit der Ermittlungsbehörden liegt. Hier entsteht ein Teufelskreis. Eine Beweissicherung, die eine IT-forensische Untersuchung benötigt, können nicht von Betroffenen übernommen werden.
Was verändert sich jetzt?
Die Hürde der Strafbarkeit wurde gesenkt. Dafür wurden zwei Merkmale/Begriffe verändert:
- Statt einem „beharrlichen“ nachstellen, ist nunmehr schon ein „wiederholtes“ handeln strafbar.
- Außerdem müssen diese Handlungen jetzt nicht mehr geeignet sein, die Lebensgestaltung „schwerwiegend“ zu beeinträchtigen, sondern lediglich „nicht unerheblich“.
Durch diese Veränderung sollen die Stalkinghandlungen nun eher als strafbar eingestuft werden können. Doch auch hier bleibt es bei sehr unbestimmten Begriffen, die wie zuvor nach Ermessen geprüft werden. Zudem wurden weitere Handlungen im Paragraphen ergänzt, die damit nun eindeutig als Stalkinghandlungen definiert sind. Diese Tathandlungen betreffen vor allem Handlungen mithilfe digitaler Medien und Geräte. Das ist eine sichtbare Anerkennung von Cyberstalking als Straftatbestand. So ist jetzt z.B. das Ausspähen von Daten, durch unbefugten Zugriff auf Accounts oder Geräte, eine Stalkinghandlung, auch damit inbegriffen ist das Einsetzen von Spy-Apps. Zudem ist das Erstellen von Fake-Profilen, das Teilen von herabwürdigenden Inhalten oder das Verbreiten von Bildmaterial von einem selbst oder auch nahestehenden Personen nun aufgeführte Tathandlungen. Neu ist auch die Einführung von besonders schweren Fällen mit einer höheren Strafzumessung. Das sind z.B. Fälle bei denen das Stalking bei einer Vielzahl von Handlungen über 6 Monate andauert, Spy-Apps eingesetzt werden, es zu Gesundheitsschädigungen bei der betroffenen Person kommt oder auch wenn unbefugt erlangte Bildmaterialien verbreitet werden.
Und nun?
Es ist erfreulich, dass digitale Angriffe explizit als Stalkinghandlungen benannt werden und damit digitale Gewalt an Relevanz und Bewusstsein gewinnt. Eine schnellere Strafbarkeit und die Einführung von besonders schweren Fällen lassen erhoffen, dass es zu mehr Anklagen, Verurteilungen und höheren Strafen kommen wird. All das könnte eine effektivere Bekämpfung von Stalking bedeuten. Doch auch wenn hier ein Schritt in die richtige Richtung gemacht wird, wird es für Betroffene nicht unbedingt leichter, sich strafrechtlich gegen Stalking zu wehren. Denn leider hängt dieser Weg nicht nur von der gesetzlichen Grundlage ab. Wie bereits erwähnt, führen u.a. aufwendige Ermittlungsarbeiten zu einer enormen Dauer des Strafverfahrens. Für den Verlauf eines Ermittlungs- und Strafverfahrens ist auch entscheidend welche Kompetenzen, Kapazitäten und finanziellen Ressourcen im gesamten Justizbereich vorhanden sind bzw. aufgebracht werden. Leider fällt uns ein starker Mangel an Ressourcen in unserer Beratungsarbeit auf. Nicht nur, dass Personal teilweise unsensibel mit Betroffenen umgeht, scheitert eine erfolgreiche Strafverfolgung auch an fehlender Kompetenz im Bereich digitaler Gewalt beim gesamten Justizpersonal. Zudem werden Verfahren eingestellt, weil schlichtweg Personal fehlt oder als Bagatelldelikte (2) behandelt werden. Es wird zu oft nicht erkannt welche Bedrohungs- und Gefahrenlage für Betroffene von digitaler Gewalt bzw. Stalking besteht. Erst wenn auch diese Lücken geschlossen werden, kann eine deutliche Verbesserung in der Rechtsdurchsetzung für Stalkingbetroffene realistisch werden. Und dies ist unbedingt notwendig. Etwa jeden dritten Tag wird in Deutschland ein Femizid begangen (3), bei denen in einigen Fällen Stalking, Nötigung oder Bedrohung vorausgegangen ist.
Eine effektivere Bekämpfung von Stalking kann Leben retten.
Unsere politischen Forderungen: https://www.anti-stalking-projekt.de/cyberstalking/politische-forderungen/
Trotz der genannten Schwierigkeiten, kann eine Strafanzeige eine effektive Möglichkeit sein, sich gegen das Stalking zu wehren. Lasse dich gerne zu deinen Handlungsmöglichkeiten von uns beraten. Um erneuter Opferwerdung im Kontakt mit Polizei und Justiz vorzubeugen, empfehlen wir, im Vorfeld unsere Beratung aufzusuchen. Wir helfen dir dabei, dich auf eine Anzeigeerstattung, einen Kontakt mit einer Anwältin oder einem Gewaltschutzantrag vorzubereiten. Auch können wir dich längerfristig während eines Strafverfahren begleiten. Einen Termin kannst du unter der Telefonnummer 030/4224276 vereinbaren.
Quellen:
² Bei einem Bagatelldelikt handelt es sich um eine Straftat, der nur eine geringe strafrechtliche Bedeutung beigemessen wird, etwa weil Schaden oder Intensität der Tat gering sind. In der Rechtspraxis spricht man insoweit auch von „geringfügige Straftaten“. https://www.juraforum.de/lexikon/bagatelldelikt (11.10.2021)
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